G wie Geschichte
Das Staatswappen der Tschechischen Republik zeigt zweifach den böhmischen Löwen, den mährischen Adler (oben) und den schlesischen Adler (unten). Zu den Ländern der böhmischen Krone – kurz auch böhmische Länder (české
země) genannt – gehörten bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts auch der früher preußische, heute polnische Teil Schlesiens sowie die Oberund Niederlausitz.
Von den Anfängen bis zur Herrschaft der Habsburger
Für die Zeit von 5300 bis 4500 v. Chr. ist eine weitreichende neolithische Besiedlung belegt. 500 v. Chr. siedelten die ersten keltischen Stämme auf dem heutigen Gebiet Tschechiens. Den Kelten folgten zu Beginn des ersten Jahrhunderts nach Christus germanische Stämme. Während der Völkerwanderung kamen schließlich slawische Stämme in das Land. Nach dem Zusammenbruch des „Großmährischen Reiches“ (830–895) nahm das Geschlecht der Přemysliden die Vorherrschaft ein, zunächst als Herzoge von Böhmen. Am Beginn dieser Entwicklung stand Wenzel I. (Václav
I., 921–929/935), der die Verbreitung des Christentums im Land unterstützte und als Landespatron noch heute große Symbolkraft besitzt. Erster König von Böhmen wurde 1198 Ottokar I. 1212 wurden die Länder der böhmischen Krone zum Königreich innerhalb des Heiligen Römisches Reiches erhoben.
Mit dem bedeutendsten mittelalterlichen böhmischen König Karl IV. (Karel IV., 1316–1378), der 1355 zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt wurde, gewannen die böhmisch-europäischen Verflechtungen an Bedeutung. Wer Prag besucht, wird um diese Persönlichkeit nicht herumkommen, da er Prag zur Residenzstadt machte, die berühmte Karls-Universität (Univerzita Karlova) gründete und nicht zuletzt die Karlsbrücke (Karlův most) erbauen ließ. Etwa zur selben Zeit forderte Johannes Hus (Jan Hus, 1370–1415) eine Erneuerung der katholischen Kirche und beeinflusste spätere reformatorische Bestrebungen wie z.B. die Martin Luthers.
Religiöse Konflikte zwischen den kirchenreformerischen Hussiten auf der einen sowie dem römisch-deutschen Kaiser und der römisch-katholischen Kirche auf der anderen Seite führten zu einer Reihe militärischer Auseinandersetzungen auf dem Gebiet Böhmens (Hussitenkriege 1419–1434). 1526 wählten die böhmischen Stände den Habsburger Ferdinand I. zum König von Böhmen. Habsburgisches Gebiet blieb Böhmen bis 1918.
Herrschaft der Habsburger
Der Dreißigjährige Krieg, der mit dem Prager Fenstersturz 1618 begann, endete mit der Etablierung der habsburgischen Herrschaft in den Ländern der böhmischen Krone und bewirkte dort die Rekatholisierung. Über den Prager Fenstersturz ist eine enge Verbindung zwischen böhmischer und europäischer Geschichte manifestiert. Am 23. Mai 1618 stießen böhmische Protestanten zwei kaiserliche Statthalter (als Repräsentanten der zentralistischen, prokatholischen Politik der Habsburger) aus den Fenstern der Prager Burg (Pražský
hrad).
Die tschechische Geschichtsschreibung sieht die glanzvolle mittelalterlichere Epoche, in der die Grundlagen für die Staatlichkeit und die geistigen Fundamente Tschechiens gelegt wurden, durch die entscheidende Schlacht am Weißen Berg (Bílá hora) bei Prag 1620 vernichtet.
Die nachfolgende Zeit brachte im Zeichen des aufgeklärten Absolutismus unter Maria Theresia (1717–1780) und Joseph II. (1741–1790) wichtige modernisierende Reformen mit sich. Die Festlegung des Deutschen als Amtssprache gab z.B. wichtige Impulse für die aufkommende Nationalbewegung im 19. Jahrhundert: Als Gegengewicht wurden die Modernisierung der eigenen Schriftsprache und landessprachlicher Schulunterricht gefordert. Nachdem anfangs namhafte Intellektuelle noch eine Gleichberechtigung beider Kulturen im Land forderten, kann man um die Jahrhundertwende von einer kulturell und politisch gespaltenen Gesellschaft sprechen.
Die Erste Tschechoslowakische Republik (1918–1938)
Infolge der Niederlage der Habsburgermonarchie nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zerfall Österreich-Ungarns wurde am 28. Oktober 1918 die unabhängige Tschechoslowakei gegründet bestehend aus Böhmen, Mähren, dem tschechischen Teil Schlesiens, der Slowakei und der Karpatenukraine. Tomáš G. Masaryk (1850–1937) wurde erster Staatspräsident. Die erste Tschechoslowakische Republik war ein modernes Gemeinwesen, das anders als viele seiner Nachbarn selbst in den Jahren der Wirtschaftskrise bis 1938 eine parlamentarische Demokratie blieb und den ethnischen Minderheiten besondere Rechte einräumte.
Die größte Quelle politischer Instabilität waren die Beziehungen zwischen den verschiedenen Nationalitäten. Die latente Skepsis, besonders die der Slowaken und der Deutschen gegenüber der Staatsgründung von 1918 sowie das Separationsstreben der deutschen Bevölkerung wurde durch die aggressiv expansionistische Außenpolitik des nationalsozialistischen Deutschlands verstärkt. Das Münchener Abkommen von 1938 sah schließlich die Abtretung der gesamten von Deutschen besiedelten Gebiete der Tschechoslowakei an das Deutsche Reich vor. Im März 1939 wurde die von den Nationalsozialisten so genannte „Rest-Tschechei“ von Deutschland annektiert und zum Protektorat Böhmen und Mähren erklärt. Die Slowakei wurde in die formale Unabhängigkeit entlassen und wurde faktisch ein Satellitenstaat des Deutschen Reichs.
„Protektorat“ Böhmen und Mähren
In den folgenden Jahren kam es zu mehreren Widerstandsversuchen wie etwa dem geglückten Attentat auf den Reichsprotektor Reinhard Heydrich 1942. Als Rache wurden 1.357 Menschen ermordet und die Orte Lidice und Ležáky komplett ausgelöscht. Die Terrorwelle durch die Nationalsozialisten nach dem Attentat auf Heydrich ist als Heydrichiáda (Heydrichiade) ins tschechische kollektive Gedächtnis eingegangen.
Widerstandsakte wie das Attentat wurden angesichts der Übermacht der Besatzer jedoch nicht von der gesamten Bevölkerung getragen. Erst der Prager Aufstand am 5. Mai 1945 mündete schließlich in der Befreiung des Landes. Auf dem Gesamtgebiet der ehemaligen Tschechoslowakei fielen rund 350.000 Jüdinnen und Juden, Tschech/-innen, Slowak/-innen und Roma dem deutschen Vernichtungswahn zum Opfer.
Als Präsident der Exilregierung hatte Edvard Beneš schon während des Krieges eine Annäherung an die Sowjetunion als zukünftige Schutzmacht der Tschechoslowakei versucht. Beide hatten sich auf ein gemeinsames Regierungsprogramm geeinigt, das am 4. April 1945 in Košice (Kaschau) verkündet wurde. Beneš regierte in den ersten Monaten durch Verordnungen; die sogenannten Beneš-Dekrete, die neben gewöhnlichen Verwaltungsangelegenheiten auch die Bestrafung, Vermögensenteignung und Ausbürgerung von Deutschen und Ungarn regelten. 2,9 Millionen Personen wurden bis 1947 ausgesiedelt. Die später vom Parlament gebilligten Dekrete sind seit Jahrzehnten Hauptstreitpunkt zwischen Vertriebenenverbänden und der Tschechoslowakei beziehungsweise deren Nachfolgestaaten.
Kommunistische Herrschaft
Aus den ersten Nachkriegswahlen im Mai 1946 ging die Kommunistische Partei (KSČ) unter dem moskautreuen Klement Gottwald als Siegerin hervor. Im Februar 1948 fand die vollständige Machtübernahme durch die Kommunisten statt. Industrie und Handel wurden verstaatlicht, die Landwirtschaft kollektiviert und Repressalien gegen politische Gegner/-innen verstärkt. Nach einer totalitären Phase lockerten sich die Verhältnisse ab Ende der 1950er Jahre. Mit Alexander Dubček als Vorsitzenden der KSČ begann sich die Tschechoslowakei Anfang 1968 aus dem Machtbereich der Sowjetunion zu lösen. Dieser Prozess, der sogenannte „Prager Frühling“ (Pražské
jaro), fand jedoch durch den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen am 21. August 1968 ein gewaltsames Ende. Es folgte die Phase der „Normalisierung“, eine Zeit der erneuten Festigung des kommunistischen Regimes, in welcher viele Intellektuelle das Land verließen. Mit der „Charta 77“-Bewegung (nach ihrem Entstehungsjahr 1977 benannt) kam eine Dissidentenbewegung auf, die ich als Vertretung des gesellschaftlichen Dissenses verstand. Ihre prominenteste Figur war Václav Havel, erster demokratischer Staatspräsident der Tschechoslowakei nach 1989.
Entwicklungen nach 1989
Der Zerfall der kommunistischen Regimes in Polen und Ungarn, vor allem aber die Wende in der DDR lösten im Herbst 1989 massive Demonstrationen in der ČSSR (Tschechoslowakische Sozialistische Republik) aus (Samtene Revolution = sametová
revoluce), die schließlich ein Ende der kommunistischen Herrschaft herbeiführten. Im Juni 1990 fanden die ersten freien Wahlen zum Parlament der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik (ČSFR) statt. Aufgrund von politischen Differenzen und Interessenkonflikten zwischen den beiden Landesteilen beschloss das Parlament eine Auflösung der ČSFR zum 31. Dezember 1992, fortan bildeten die Tschechische und die Slowakische Republik zwei unabhängige Staaten.
P wie Politisches System
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